Verletzung von Meldepflichten bei fortdauernder Erkrankung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich mit Urteil vom 07.05.2020 (2 AZR 619/19; Anlage a) festgestellt, dass es zu den Meldepflichten des Arbeitnehmers bei Arbeitsunfähigkeit die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Erkrankung zählt. Verstöße hiergegen können grundsätzlich zur Kündigung berechtigen und sind nicht anders zu bewerten sind als Verstöße gegen die Pflicht zur unverzüglichen (Erst-)Meldungen einer Erkrankung.
 
I. Sachverhalt
 
Der Kläger war bei der Beklagten als Lagerist beschäftigt und ab Juli 2016 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.
 
Während seiner Arbeitsunfähigkeit wurde der Kläger insgesamt dreimal von der Beklagten schriftlich abgemahnt, einmal wegen unentschuldigten Fehlens und zweimal wegen Verstoßes gegen die im Betrieb geltenden Meldepflichten bei Arbeitsunfähigkeit. Die letzten beiden Abmahnungen erhielt der Kläger, weil die Beklagte der Meinung war, der Kläger habe seine Folgebescheinigungen verspätet eingereicht und ihr daher nicht rechtzeitig die Fortdauer seiner Erkrankung angezeigt. Dies, obwohl in der Betriebsordnung die Meldepflichten im Krankheitsfall im Einzelnen geregelt seien und der Kläger auch noch einmal zusätzlich im November 2016 auf diese Pflichten hingewiesen worden sei.
 
Nachdem der Kläger die Beklagte – nach ihrer Auffassung – erneut nicht rechtzeitig über die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit informiert hatte, kündigte diese schließlich im Dezember 2017 das Arbeitsverhältnis.
 
Hiergegen hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben und macht geltend, dass die Kündigung unwirksam sei, da er sich jederzeit ordnungsgemäß (weiter) bei der Beklagten krankgemeldet habe.
 
Das Arbeitsgericht Ulm gab der Klage statt. Die von der Beklagten eingelegte Berufung wurde vom LAG Baden-Württemberg zurückgewiesen. Dies unter anderem mit der Begründung, dass ein Arbeitnehmer nach § 5 EFZG zwar grundsätzlich dazu verpflichtet sei, auch die Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit seinem Arbeitgeber anzuzeigen. Ein etwaiger Verstoß gegen diese Meldepflicht wiege jedoch im Regelfall weniger schwer als eine fehlende oder verspätet erfolgte erstmalige Anzeige einer Erkrankung. Das Nichterscheinen des Arbeitnehmers treffe den Arbeitgeber in diesem Fall nämlich nicht unvorbereitet. Im Falle einer verhaltensbedingten Kündigung sei dies bei der zuvor durchzuführenden Interessenabwägung zu berücksichtigen.
II. Entscheidungsgründe
 
Die Revision der Beklagten vor dem BAG hatte Erfolg, sie führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das LAG. Nach Auffassung des BAG habe das LAG neben verschiedenen weiteren Aspekten in seiner Entscheidung insbesondere rechtsfehlerhaft angenommen, dass eine Verletzung der Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Erkrankung im Rahmen der Interessenabwägung grundsätzlich als weniger gravierend zu bewerten sei als die nicht unverzügliche Anzeige des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. In seiner Entscheidung selbst stellt das BAG zunächst ausdrücklich klar, dass auch eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 EFZG ergebenden Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich geeignet sein kann, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darzustellen. Die gesetzlichen Meldepflichten seien nämlich nicht auf den Fall einer Ersterkrankung beschränkt. Sie würden ebenso die Verpflichtung, dem Arbeitgeber auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich mitzuteilen, umfassen. Die gesetzliche Ausgestaltung der Meldepflichten im Krankheitsfall lasse auch nicht ohne Weiteres eine unterschiedliche Behandlung von Verstößen bei Erstmeldung gegenüber der Meldung der Fortdauer einer Erkrankung zu. Dies gelte auch bei Langzeiterkrankungen. Anders als vom LAG angenommen, gebe es keine allgemeinen Erfahrungssätze, wonach es weniger wahrscheinlich sei, dass ein Mitarbeiter nach einer langen Arbeitsunfähigkeit und einer Vielzahl von Folgekrankschreibungen „ohne anderslautende Verlautbarung“ seine Arbeit wieder aufnehmen würde, sodass Arbeitgeber bei Meldeverstößen bei andauernder Arbeitsunfähigkeit weniger belastet würden. Es bedürfe daher grundsätzlich sowohl bei Meldeverstößen im Zusammenhang mit Erst- wie auch mit Folgeerkrankungen einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung. Die Vornahme einer ordnungsgemäßen Interessenabwägung sei dem BAG selbst jedoch nicht möglich, da es hierfür ergänzender Tatsachenfeststellungen, insbesondere hinsichtlich der in Rede stehenden Verstöße, sowie einer darauf bezogenen tatgerichtlichen Würdigung bedürfe. Dies sei nunmehr vom LAG nachzuholen.
 
III. Bewertung
 
Die Entscheidung ist aus Arbeitgebersicht zu begrüßen. Mit der Entscheidung stellt das BAG nämlich nicht nur eindeutig klar, dass auch die (wiederholte) Verletzung der gesetzlich geregelten Meldepflichten bei fortgesetzter Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich geeignet sein kann, einen Kündigungsgrund darzustellen. Das BAG gibt dem Arbeitgeber hierdurch darüber hinaus einen gewissen Handlungsspielraum, um Nachlässigkeiten bei (längeren) Fehlzeiten entgegenzuwirken.
 
Gleichzeitig unterstreicht das BAG mit seiner Entscheidung wieder einmal, wie wichtig die Vornahme einer umfassenden einzelfallbezogenen Interessenabwägung vor Ausspruch einer Kündigung ist. Es macht damit neuerlich deutlich, wie bedeutend es – neben der Prüfung und Bewertung des Pflichtenverstoßes – regelmäßig ist, dass der betreffende Mitarbeiter zuvor (mehrmals) wirksam wegen eines gleichartigen Verstoßes abgemahnt wurde und ihm so die Gelegenheit gegeben wurde, sein Verhalten für die Zukunft zu korrigieren.

 

 

Quelle: SPA

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